Politik auf dem Campus

Christian Lindner unter Regensburger Studierenden.

Christian Lindner begeistert mit seinem Appell zum geeinten Europa Studierende an der Universität Regensburg.

Dass sich Studierende für Auftritte von Politikern auf dem Campus interessieren würden, ist heutzutage eher ungewöhnlich. Der Nachmittag vom 4. Mai 2018 bildete aber eine Ausnahme. Kurz vor dem Vortrag des FDP-Chefs und Bundestagsabgeordneten Christian Lindner versammelten sich in dem zentralen Konferenzsaal vom Vielberth-Gebäude so viele Jugendliche, dass manche sich sogar an den seitlichen Rändern von der Bühne setzen mussten. Die gemeinsam von der Liberalen Hochschulgruppe Regensburg und der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit organisierte Veranstaltung sorgte jedenfalls für viel Aufmerksamkeit und Promi-Neugier.

Christian Lindner: „Wer die Paroli der Rechtspopulisten übernimmt, der macht das Original stark.“

In seinem Vortrag „Eine neue Generation Politik in Europa?“ konzentrierte sich Lindner auf die Herausforderungen durch den Populismus. Sehr kritisch wertete er die Pläne des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder, die Kreuzpflicht in öffentlichen Landesstellen einzuführen. Lindner sah darin den fatalen Versuch der CSU, die Wähler der rechtspopulistischen AfD abzuwerben. Diesen Versuch findet er aber verhängnisvoll für die Religionsfreiheit und den Rechtsstaat: „Wer die Paroli der Rechtspopulisten übernimmt, der macht das Original stark.“ Stattdessen plädierte er für eine entschlossene und sachliche Populismus-Kritik – die Beispiele in den Niederlanden und Frankreich zeigen laut ihm anschaulich, dass man damit die Wahlen gewinnen kann, ohne sich den Rechtspopulisten anzubiedern.

Der FDP-Vorsitzende hat das Regensburger Publikum somit auf die neue Generation Politiker hingewiesen, die bürgernah sind, ohne populistisch zu wirken. Vor allem wurde deren Bekenntnis zu mehr Europa-Integration akzentuiert: „Die meisten heutigen Herausforderungen sind allein im nationalen Rahmen nicht mehr zu bekämpfen. Ein gesamteuropäischer Lösungsweg muss eingeschlagen werden.“ Als konkrete Ideen schlug er beispielsweise die Entwicklung des europaweit einheitlichen Hochschulraums, Gründung europäischer Universitäten oder Förderung gesamteuropäischer Forschungsinitiativen vor. Auch die Wiederbelebung der europäischen Verteidigungsgemeinschaft hat der Redner gutgeheißen.

Außerdem kritisierte Lindner die Ausgabenpolitik der aktuellen GroKo-Bundesregierung und sprach sich für mehr Haushaltsdisziplin aus: „Es wird viel Geld ausgegeben, nur um die Menschen zufrieden zu stellen.“ Dafür verdrängt man wichtige Zukunftsthemen, wie zum Beispiel Digitalisierung: „Wenn man statt Digitalisierungsministerium ein Heimatministerium gründet, sendet man somit kein innovatives Signal für die junge Generation.“ Damit aber die Digitalisierung nicht dem Datenmissbrauch dient, sollten die rechtlichen Regeln laut Lindner dafür richtig angepasst werden.

Desweiteren befasste er sich mit dem Drohszenario, Europa würde in eine „Schuldenunion“ verwandelt. Diese Idee mancher europäischen Politiker bezeichnete er als schädlich – die Vergemeinschaftung von Schulden würde nur Europas weltweite Spitzenposition gefährden und Netto-Zahler unnötig belasten: „Jeder darf so leben, wie er möchte – aber nicht auf Kosten der Solidargemeinschaft.“ Darauf reagierte das Publikum mit einem frenetischen Beifall.

In der anschließenden Diskussion besprach Lindner mit Studierenden verschiedene aktuelle Themen: den drohenden Handelskrieg zwischen Europa und den USA; soziale Abstiegsängste älterer Generationen; prekäre Verhältnisse im deutschen Bildungssystem. Auf die Frage, wie die neue Generation bildungstechnisch besser für das Leben vorbereitet werden sollte, reagierte er mit der Forderung, die Digital- und Wirtschaftskompetenzen in Schulen stärker zu fördern.

Europa und Macht der Gefühle

Bei der Diskussion stellen sich die Politik-Experten den Fragen des Moderators sowie des Publikums

Hochkarätige Politik-Experten diskutieren in Regensburg über bindende Kräfte Europas

Der Europapolitik wird vorgeworfen, dass sie auf die Sorgen der Bürger meistens zu sachlich, ja sogar bürokratisch eingeht und zu selten die Emotionen der Wähler anspricht. Das wird oft als Grund angeführt, warum die gesamteuropäischen Problemlösungen in der Öffentlichkeit so unpopulär sind. Unvermeidlich stellt sich die Frage, ob europapolitische Themen mehr emotionale Aufladung brauchen.

Darüber wurde am 24. Juli im Thon-Dittmer-Palais in Regensburg diskutiert; die von der Thomas-Dehler-Stiftung organisierte Podiumsdiskussion hat trotz Urlaubsstimmung viele Gäste angezogen und viele Themen angeboten: Neben der „Emotionalisierung“ der Europapolitik wurden auch rationale Lösungen besprochen, wie die EU-Integration erfolgreich vollzogen werden könnte. Als Experten wurden zwei Bundestagskandidaten, Ulrich Lechte (FDP Regensburg) und Peter Aumer (CSU Regensburg), sowie Politologin und Bürgeraktivistin Cécile Prinzbach eingeladen. Moderiert wurde die Veranstaltung vom Journalisten Sebastian Steinmayr.

Forenleiter Markas Adeikis eröffnet die Podiumsdiskussion

Die Emotionalisierung der Europapolitik stand im Mittelpunkt der Diskussion. Bundestagskandidat Ulrich Lechte wies darauf hin, dass Europa schon seit 72 Jahren im Frieden lebt. Allein aus diesem Grund müsse mehr Pathos in diese Tatsache eingebracht werden. Auf den Vorwurf, Brüssel trage zur Verbürokratisierung der Politik bei, wollte sich der FDP-Kandidat nicht einlassen: „Die Nationalstaaten bauen manchmal noch mehr Bürokratie auf als die EU-Institutionen.“ Um das Interesse der Bürger an der EU zu stärken, empfahl Lechte, mehr positive Botschaften über die europäische Integration in der Öffentlichkeit zu verbreiten: Erfolge des Erasmus-Programms oder Vorteile der gesamteuropäischen Freizügigkeit seien die Errungenschaften, von denen EU-Bürger tagtäglich profitieren.

Bei der Sensibilisierung der Bürger für die EU-Themen spielt auch die Zivilgesellschaft eine wichtige Rolle. Politologin Cécile Prinzbach, selber eine Aktivistin von mehreren proeuropäischen Bewegungen, verwies auf zahlreiche proeuropäische Initiativen wie „Pulse of Europe“ oder „Stand Up for Europe“, die vor allem für die emotionale Mobilisierung der EU-Bürger sorgen. Wider Erwartungen beteilige sich laut Prinzbach nicht nur die jüngste Generation an diesen sozialen Bewegungen, sondern auch die mittlere Generation, die „für die hellere Zukunft ihrer Kinder kämpfen will.“

Bundestagskandidat Peter Aumer blieb der Idee, die Europapolitik emotionaler zu gestalten, eindeutig zurückhaltend. Der CSU-Politiker betonte, dass in erster Linie die Wertegemeinschaft Europas gestärkt werden sollte: „Neben Pathos brauchen wir auch mehr Ethos.“ Laut Aumer sei Europa nie eine Emotion gewesen: Die Entstehung der EU sei der Situation geschuldet, dass sich Frankreich und Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg eher aus pragmatischen Gründen zusammengetan hätten. Gerade dieser Pragmatismus sei auch jetzt gefragt. Dagegen hielt Prinzbach das Argument, die deutsch-französische Versöhnung sei ein besonders emotionaler Akt gewesen, der viel Überwindung verlangt habe, und diese emotionale Aufladung müsse auch aktuell erhalten bleiben.

Im Anschluss suchten die Experten nach den Bindekräften Europas. Für Ulrich Lechte galt die starke deutsch-französische Achse als der entscheidende Antrieb der europäischen Integration: „Angesichts der autoritären Tendenzen in den Visegrád-Staaten und der schwächelnden Wirtschaft in den südlichen EU-Ländern soll dieser Achse noch mehr Verantwortung zugesprochen werden.“ Von der aktuellen Bundesregierung verlangte der FDP-Politiker mehr Mut, europapolitische Visionen zu entwickeln.

CSU-Bundestagskandidat Peter Aumer: „Wenn man von einer Krise in die andere stolpert, dann hat man keine Zeit für Visionen.“

Dieser Stellungnahme widersprach Peter Aumer vehement: „Ohne die Abstimmung unter allen 28 EU-Staaten kann die deutsch-französische Achse nur wenig bewegen.“ Außerdem wollte der Christsoziale den Vorwurf über die mangelnde Gestaltungskraft der Bundesregierung nicht hinnehmen: „Wenn man von einer Krise in die andere stolpert, dann hat man keine Zeit für Visionen.“ Gerade deswegen hält Aumer den „Verwaltermodus“ der Bundeskanzlerin unter diesen Umständen für angemessen.

Cécile Prinzbach plädierte für ein stärkeres emotionales Bekenntnis zu Europa. Als ein gutes Beispiel dafür führte sie die Mobilisierung durch Bürgerbewegungen auf, die für die proeuropäische Stimmung gesorgt und den Siegeszug von Populisten in Ländern wie Frankreich und Großbritannien abgewendet hätten. Für diese Mobilisierung seien nicht mal die Inhalte notwendig: Laut Prinzbach brauche die Gesellschaft die Motivation, nach den Lösungen gemeinsam zu suchen. Deswegen sei Europa die Angelegenheit von Visionen.

Dass diesen Visionen oft Populisten im Wege stehen, konnte von Experten nicht übersehen werden. Ulrich Lechte definierte den Populismus als „eine Politikform mit scheinbar einfachen Lösungen“, die die Vielfalt von Entwicklungsszenarien nicht akzeptieren wolle. Laut ihm sei die Politik aber nicht so einfach in dieser komplexen Welt. CSU-Kandidat Peter Aumer akzentuierte, dass das gesellschaftliche Engagement gefördert werden solle, um die Jugend immun gegen das populistische Gedankengut zu machen. Cécile Prinzbach erinnerte alle daran, dass der Populismus sehr oft mit Ängsten der Bürger spielt, und zwar am rechten wie am linken Rand der Gesellschaft. Als Frankreich-Expertin präsentierte sie beunruhigende Statistiken, laut deren die jüngste Wählergeneration bei den aktuellen Wahlen in der Fünften Republik entweder für Links- oder Rechtsradikale votierte. Gerade dieses Gefahrpotenzial sei zu beachten.

Politologin Cécile Prinzbach: „Man darf nicht warten, bis die Bürger selber mehr europapolitische Initiativen einfordern.“

Auf eine gemeinsame Strategie zur Bekämpfung der antieuropäischen Stimmung konnten sich die Diskutanten allerdings nicht einigen. Während Bundestagskandidat Peter Aumer dafür plädierte, die thematischen Präferenzen der Wähler stärker zu berücksichtigen und europapolitische Themen im Wahlkampf notfalls hintanzustellen, ermutigte Cécile Prinzbach Politiker, mehr proaktive Kommunikation zu EU-Themen zu wagen: „Man darf nicht warten, bis die Bürger selber mehr europapolitische Initiativen einfordern.“

Schließlich stellte sich die Frage, inwieweit die im September anstehenden Bundestagswahlen die Europapolitik beeinflussen könnten. Für Ulrich Lechte sei diese Wahl auch im europäischen Kontext richtungsweisend, denn sie könne den Umgang mit Radikalen entscheiden: „Wenn Rechtspopulisten im Herbst an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern, wäre das ein deutliches Zeichen für mehr europäische Integration.“ Cécile Prinzbach versicherte ihrerseits, dass niemand in Frankreich ernsthaft erwarte, dass Populisten die wichtigsten Ämter in der Bundesrepublik erobern könnten.

FDP-Bundestagskandidat Ulrich Lechte: „Wenn Rechtspopulisten im Herbst an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern, wäre das ein deutliches Zeichen für mehr europäische Integration.“

Die zahlreich erschienenen Gäste nutzten die Gelegenheit, ihre Fragen an Diskutanten zu stellen. Dabei sind manche spannenden Themen besprochen worden: Einige Zuhörer vermissten die präzisere Einhaltung der EU-Verträge. Cécile Prinzbach gab zu, dass Politiker neben der emotionaleren Kommunikation auch für die Umsetzung des EU-Rechts sorgen sollten; dafür seien auch die Reformvorschläge seitens der EU-Mitgliedstaaten unumgänglich. Laut Prinzbach wäre ein europäisches Finanzministerium die Lösung, wie man die europäische Identität mit der Einhaltung der EU-Regeln vereinbaren könnte. Peter Aumer warnte hingegen vor unüberlegten gesamteuropäischen Initiativen, deren mögliches Scheitern für noch mehr EU-Überdruss sorgen würde. Ulrich Lechte plädierte für die nötige Flexibilität der EU-Regeln, denn nur durch die Anpassungsfähigkeit des Vertragswerks – wie im Fall der Flüchtlingskrise – sei die Reformbereitschaft der EU-Länder am wahrscheinlichsten.

Insgesamt bildete die Podiumsdiskussion mehrere Meinungsfacetten ab und bekräftigte die Vermutung, dass ein konkreter Konsens zu Europafragen noch nicht in Sicht ist. Eines wird nach der Veranstaltung aber klar: Ob man einen legendären Liberalen wie Hans-Dietrich Genscher zitiert oder einen großen Konservativen wie Franz Josef Strauß, ergibt sich die gleiche Erkenntnis – Europa ist und bleibt Deutschlands Zukunft. Dass sich alle Beteiligten das vor der Sommerpause eingeprägt haben, bleibt zu wünschen.

Wind of Change à la française

Wie Macrons Ära Frankreichs politisches System grundlegend reformieren könnte

Durch die Präsidentschaft Macron kann das politische System Frankreichs bedeutend reformiert werden.

Emmanuel Macron ist derzeit Europas Superstar. Nicht nur, weil er jung, bahnbrechend und dominant ist. Schon in den ersten Wochen nach seiner Amtseinführung hat der neue französische Präsident signalisiert, dass er die Veränderungen sowohl in der Fünften Republik als auch in der Europäischen Union bewirken kann. Wenn er seine Versprechen hält, bekommt Europa einen Leader, wie man ihn schon lange nicht mehr erlebt hat.

Damit Macron Erfolg in der EU hat, muss er sich auch zunächst in Frankreich behaupten. Vieles deutet darauf hin, dass er ausreichend Fähigkeiten und Mittel besitzt, um seine Ziele zu erreichen.

Klares Votum gegen Rechtsradikale

Erstens hat er die Stichwahl gegen die rechtsradikale Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen mehr als eindeutig für sich entschieden: Eine knappe Zweidrittelmehrheit hat für den sozialliberalen Jungpolitiker votiert. Ob aus Überzeugung oder aus Kalkül, sei dahingestellt. Schließlich war der zweite Wahlgang der französischen Präsidentschaftswahlen schon immer ein vernunftbasierter Akt. Und die Vernunft der Bevölkerung hat klar gesprochen: Wir brauchen keine Hassprediger im höchsten politischen Amt.

Parteienlandschaft in Bewegung

Zweitens hat der parteilose Macron es geschafft, aus seiner zivilgesellschaftlichen Bewegung En Marche! eine handlungsfähige Truppe mit parteiähnlichen Strukturen zu erschaffen, die sich am 11. und 18. Juni auf Augenhöhe mit etablierten Parteien sehen kann. Bisher kannten wir das politische System Frankreichs als ein verkrustetes Gerüst mit der bipolaren Links-Rechts-Parteienlandschaft und unüberwindbaren Gräben zwischen politischen Lagern. Dieses Bild scheint sich momentan zu ändern: Die französischen Sozialisten befinden sich am Abgrund; auch die konservativen Republikaner wirken verunsichert, während sich Macrons Bewegung langsam als ein übergreifendes Sammelbecken der politischen Mitte etabliert und die bisherigen Parteienrollen in Frage stellt.

Noch vor einigen Wochen hat keiner ernst damit gerechnet, dass En Marche! bei den Parlamentswahlen eine absolute Mehrheit erringen könnte. Heute ist dieses Szenario gar nicht so unwahrscheinlich: In den jüngsten Umfragen deutet sich die Tendenz an, dass Macrons „Partei“ – die sich als Partei offiziell erst im Juli umbenennt – mehr als die Hälfte der Mandate in der Nationalversammlung auf sich vereinigen könnte.

Macrons neue Regierung besteht aus einer parteienübergreifenden Gruppe reformfreudiger Querdenker.

Neue Regierungskonstellationen doch möglich?

Zahlreiche Politologen diskutieren über eine mögliche cohabitation zwischen dem Präsidenten und der neuen parlamentarischen Mehrheit, ohne den Sinn des Begriffs zu erkennen. Eine cohabitation bedeutet eine Zusammenarbeit des Staatspräsidenten mit einer Regierung einer anderen politischen Richtung. Dieser Begriff ist im Rahmen des traditionellen Links-Rechts-Parteiensystems geeignet. Der neue Präsident ist allerdings keiner traditionellen politischen Richtung zugehörig und verfolgt ein Programm, dessen einzelne Punkte sowohl Linke als auch Rechte mittragen könnten.

Selbst wenn En Marche! keine absolute Mehrheit bei den Parlamentswahlen erreichen sollte, ist es angesichts des jetzigen Macron-Hypes praktisch ausgeschlossen, dass eine andere Partei es allein schafft. Ein Novum würde sich damit anbahnen: Statt einer cohabitation könnte Macron eine taktisch ausgeklügelte coalition schmieden, die durch das diplomatische Geschick des Präsidenten wichtige Reformen in die Wege leiten könnte. Dass so etwas möglich ist, zeigt auch die Ernennung der Minister in der neuen Regierung, die mehrere Experten und Politikneulinge aus verschiedenen politischen Strömungen berufen hat.

Vielleicht könnte diese Tendenz sogar die Veränderung der französischen politischen Kultur prägen, indem die typische Polarisierung zwischen den traditionellen Lagern langsam abgebaut wird. Somit wäre sogar die Große Koalition, vergleichbar mit der bundesdeutschen Tradition, in der Fünften Republik denkbar.

Graduelle Erneuerung der politischen Eliten

Schließlich könnte Macrons Amtszeit auch die Tradition der alteingesessenen Politikeliten aufbrechen. Für die Parlamentswahlen hat die En Marche!-Bewegung eine Liste aufgestellt, die den Politikneulingen eine reale Machtantrittschance gewährt. Mindestens die Hälfte der Kandidaten kommt aus der Zivilgesellschaft und hat einen besseren Zugang zu Alltagsproblemen der Bevölkerung. Genau die festgefahrenen Elitestrukturen verursachten einen jahrzehntelangen Reformstau in Frankreich – die Erneuerung dieser Eliten könnte die Verabschiedung von nötigen Reformen erleichtern.

Selbstverständlich wird sich Macron der Fragilität seiner Machtbasis bewusst sein – deswegen setzt er auch auf die Unterstützung der reformfreudigen Alten. Durch die Absprachen mit konsensorientierten Kandidaten der Konkurrenzparteien in Wahlkreisen, sowie durch die Einbeziehung von Sozialisten, Republikanern und Zentrumsdemokraten in die Regierung, ist dem Präsidenten ein Kunststück gelungen, den Rückhalt für seine Machtstruktur parteienübergreifend – wenigstens vorübergehend – zu stärken. Wenn Republikaner und Sozialisten von den Wählern langfristig noch ernst genommen werden wollen, sind sie gefordert, Macrons Kurs mitzutragen. Denn angesichts des dramatisch niedrigen Vertrauens der Bürger in politische Parteien haben die alten Strukturen keine andere Wahl.

Wie die politischen Inhalte umgesetzt werden, bleibt immer noch ungewiss. Es gibt genügend Baustellen in der Fünften Republik: Von der ineffizienten Arbeitsmarktpolitik bis zur mangelnden Chancengleichheit im Bildungssystem. Die wichtigste Begründung der grassierenden Reformfaulheit war aber die formelle Machtkonstellation der alten Politikstrukturen. Durch die aktuellen Veränderungen kann man die Hoffnung hegen, dass diese Strukturen grundlegend erneuert werden.