Selbstdemontage pur

Eher Opfer als Schuldiger – die Machtambitionen von Hans Peter Doskozil wurden innerhalb von zwei Tagen nach seiner Wahl zunichtegemacht

Die technische Panne bei der SPÖ-Vorsitzendenwahl bedeutet für die ganze österreichische Linke eine kaum reparable Katastrophe. Drei Erkenntnisse zum einmaligen Vorgang.

Das, was sich gestern in der Alpenrepublik ereignete, ist in einer konsolidierten Demokratie kaum vorstellbar – und trotzdem wahr geworden. Noch am Wochenende glaubten österreichische Sozialdemokraten, die Machtverhältnisse in der Partei austariert zu haben. Die ersten Strategien wurden bereits entworfen, um bei den anstehenden Nationalratswahlen nach den Sternen zu greifen. Nach der Entdeckung der Wahlpanne hat der Wettkampf aber ein jähes Ende genommen, noch bevor er richtig angefangen hat.

Die Selbstdemontage der SPÖ besteht aus drei Elementen, die voneinander unabhängig die Erfolgsaussichten der Sozialdemokraten bei den Wahlen untergraben – deren Kombination aber eine zerstörerische Wirkung auslöst.

Das erste Element liegt in der Wahl eines Parteilinken zum SPÖ-Vorsitzenden – ganz unabhängig von der Wahlpanne. Andreas Babler mag für viele als Visionär der Partei gelten und für gewisse Erfrischung in der ehemaligen GroKo-Partei sorgen – aber mit Hans Peter Doskozil als dem pragmatischen Kandidaten der politischen Mitte hätte die SPÖ deutlich mehr Chancen gehabt, um die Stimmen des Mitte-Rechts-Lagers zu buhlen. Die jüngsten Umfragen haben ergeben, dass Doskozil die Anhänger anderer Parteien tatsächlich stärker ansprechen könnte. Hingegen werden Andreas Babler linksradikale Sympathien und künftige Kooperationsversuche mit der KPÖ nachgesagt – somit kann der Bürgermeister von Traiskirchen im Wahlkampf schnell zum Getriebenen werden, der sich rechtfertigen muss und sich kaum auf programmatische Punkte konzentrieren kann. Zwar ist mit Babler ein spannender Lagerwahlkampf garantiert, aber er wird bestimmt auch für Mobilisierungseffekte im rechten Lager sorgen – ein Zustand, den die SPÖ unbedingt vermeiden wollte. Dass ein fundamentalistischer Parteilinker der Sozialdemokratie kaum Wahlerfolg versprechen kann, zeigt auch das französische Beispiel aus dem Jahr 2017: Der linke Kandidat der dortigen Sozialisten, Benoit Hamond, setzte sich zwar im Kampf um die Präsidentschaftskandidatur gegen den ehemaligen Premierminister Manuel Valls durch, bei der eigentlichen Präsidentenwahl waren er und die von ihm angeführten Sozialisten aber komplett aussichtslos.

Das zweite Element der Selbstzerstörung basiert natürlich auf der Wahlpanne selbst. Fehlende Sicherheitsvorkehrungen und Kontrollen (z.B. Vier-Augen-Prinzip) beim Zusammenführen der Ergebnisse haben den verhängnisvollen Eindruck erweckt, die Partei könne nicht mal reibungslos jemanden zum Vorsitzenden küren – geschweige denn einen durchorganisierten Wahlkampf führen oder die Regierungsverantwortung übernehmen. Auch der Zeitpunkt und die Umstände der Entdeckung des Fehlers waren sehr grotesk – erst nach zwei Tagen und nur weil eine ungültige Stimme nicht richtig zugeordnet werden konnte, wurde der ganze Vorgang überhaupt neu überprüft. Ein Szenario, dass der Fehler eventuell erst deutlich später oder vielleicht auch gar nicht ans Tageslicht gekommen wäre, war so erschreckend realistisch. Die parteiinternen Wahlen erinnern somit an eine zeitverzögerte VAR-Entscheidung im Fußball, wo minutenlang abzuwarten ist, ob der Treffer zählt.

Der dritte Punkt beruht auf Spekulationen: Niemand kann abschließend den Verdacht ausräumen, ob diese Wahlpanne eine vorsätzliche Manipulation war. Der neue Parteivorsitzende Andreas Babler bemüht sich schon um die Schadensbegrenzung und kündigt schonungslose Transparenz bei der Aufarbeitung des Zwischenfalls an. Ob das für die Verstummung der Verschwörungstheorien reichen wird, bleibt ungewiss. Denn vor allem die rechtsradikale FPÖ wird sich die Chance nicht entgehen lassen, die Sozialdemokraten eines möglichen Wahlbetrugs zu bezichtigen. Der in Glaubwürdigkeit geschädigten SPÖ bleibt dann nur die Wahl zwischen zwei verheerenden Alternativen: eine zwar nicht vorsätzliche, aber höchst unprofessionelle Wahlpanne oder ein arglistiger und aufgrund der Plumpheit der Wahlkommissions-Funktionäre enttarnter Täuschungsversuch.

Ob sich die Partei von diesem Eigentor überhaupt noch erholt, bleibt abzuwarten. Wer aber nach jahrelangen Querelen auf das Einkehren der Stabilität bei der SPÖ gehofft hat, wurde des Besseren belehrt: Ein aus der Bundespolitik überraschend ausscheidender Hoffnungsträger der politischen Mitte und ein Wahlgewinner, der den Scherbenhaufen zusammenkehren soll. Dass die FPÖ-Dominanz bei den aktuellen Wahlumfragen unter diesen Umständen gestoppt werden kann, glauben wohl nicht mal die Zweckoptimisten.